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Sonntag 04.10.2015 - Birgit: Sonntag
Birgit | 01 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 |
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Jacques | 01 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 |
Sonntag 04.10.2015 - Birgit: Sonntag |
Morgens
Nachdem Jacques gestern frühzeitig in den Schlaf gefallen ist, ist er heute genau so verfrüht putzmunter und fidel. Ich hingegen war gestern die normale Nachteule, die ich sonst auch bin, und hab bis in die Puppen am Rechner gesessen. Ohne das kleinste Bisschen Empathie werde ich armes Wesen aus meinen Träumen gerissen. Die Welt ist so ungerecht.
Ich koche also Tee und decke den Tisch, während Jacques Brot besorgt. Der Topf hat einen runden Boden und wummert auf der Kochplatte herum wie ein Dieselmotor im Leerlauf. Außerdem will Jacques unbedingt den Schafskäse zum Frühstück essen, den ich für das Abendbrot eingeplant haben. Das Blöde am Morgen ist ganz einfach, dass er zu früh ist.
Das Wetter ist warm, der Himmel klar, und Wolken oder Regen sind seit Tagen das erste mal nicht zu erwarten. Also überrede ich Jacques, dass wir das ausnutzen und heute nach Chania fahren sollten, statt in den Südwesten, wie er vorschlägt. Wir einigen uns dann auch darauf. Beim Planen der Strecke ruckelt es dann etwas. Der Garmin ist eigensinnig, und will unbedingt immer wieder die Hauptstraßen nehmen, anstelle der von uns bevorzugten kleinen Strecken.
Als ich versuchen will, die Navi zur Vernunft zu bringen, wird Jacques ungeduldig. Er will endlich los. Ja, ja. Leider sind nun die mühsam rausgesuchten Wegpunkte auf dem falschen Garmin eingetragen: Nämlich auf dem alten Gerät, das aus irgendwelchen Gründen neuerdings Batterien frisst wie das Krümelmonster die Kekse. Also muss ich unterwegs improvisieren und das Smartphone befragen. Da ich am Vorabend die Griechenlandkarte von OSM-Android runtergeladen habe, geht das recht gut. Nach einiger Zeit muss ich natürlich von Telefon auf Garmin umsteigen, weil das Smarty für die Navigation auf dem Motorroller zu unpraktisch und zu fragil ist, zu viel Strom frisst, und ich nebenbei ja auch noch die Helmkamera bedienen muss. Überflüssiger Stress, und natürlich ruckelt es da etwas zwischen Jacques und mir. Irgendwann meint er dann aber, dass wir wohl beim nächsten Stopp versuchen sollten, eine Schaufel einzukaufen. Zum Kriegsbeilbegraben. Hach. Alles wieder gut.
Wir kurven durch die Berge, die Straßen sind eng und beschädigt. Immer wieder liegen faustgroße Steine auf der Fahrbahn. Der Regen hat wohl einiges heruntergeholt. Hier und da sehen wir Männer bei der Weinlese. In einer kleinen Taverne machen wir Rast. Die überdachte Terrasse ist vermutlich selbstgebaut und wettertechnisch mit großer Wahrscheinlichkeit eine Fehlkonstruktion. Ein schwerer Sturm kann alles wie ein Kartenhaus zusammenklappen, weil der Unterbau keine diagonalen Verstrebungen hat. Möge es keinen Sturm geben. Alles ist so neu und liebevoll gemacht, die Schilder an der Straße, die einen "Splendid View" versprechen, so viel Hoffnung tut fast weh. Mögen sie Glück damit haben. Wir trinken dort Kaffee und Cola, fragen nach den Öffnungszeiten, und versprechen, das Lokal bei Openstreetmap einzutragen.
Dann fahren wir weiter Richtung Chania, stellenweise durch tiefe, verwunschene Schluchten, die mich an einige Gegenden in Südfrankreich erinnern. Mitten in einem ausgetrockneten Bachbett haben ein paar Leute eine Picknickdecke ausgebreitet und essen. Die Luft ist kühl. Nur wenige Fahrzeuge kommen uns entgegen. Irgendwann schalte ich noch mal die Kamera ein.
Mittags
Als wir uns Chania nähern, nähert sich meine Energie dem Nullpunkt. Mir wird flau, als ob ich eine Grippe hätte, und ich will einfach nur im Schatten liegen und schlafen. Jacques macht das nicht mit, sondern besteht darauf, dass ich mit ihm zum Hafen komme. Wir stellen den Roller neben der alten Markthalle ab, ich setze einen Marker auf dem Garmin, und wir gehen durch die verwinkelten Gassen. In einer kleinen Seitenstraße sehe ich Verkaufsstände, die mich an einen orientalischen Basar erinnern.
Schließlich kommen wir im Hafen an. Es wimmelt vor Menschen, ein Lokal steht neben dem anderen, und überall ist es laut und unruhig. "So", sagt er einladend, "jetzt such dir was aus."
Toll. Ich will Ruhe, und stehe in einem Ameisenhaufen. Oder in einer Freiluftanlage für schnatternde Gänse. Schrecklich. Ich will schlafen. Alles ist hell, heiß, laut, aufdringlich. Eigentlich will ich nur weg von hier. Quer gegenüber, auf der anderen Hafenseite, sehe ich ein kleines Lokal, dass nicht ganz so überlaufen zu sein scheint. Mit Holztischen anstelle der sonst verbreiteten Plastikmöbel. Da will ich hin.
Wir umrunden das Hafenbecken. Alle paar Meter spricht uns irgendwer an, um uns in die Lokale zu locken oder uns irgendwelchen Tand zu verkaufen. Die Taverne, bei der wir dann schließlich ankommen, ist tatsächlich sehr urig. Mit dem Mobiliar im Inneren könnte man jederzeit eine Szene in einem Mittelalter-Film drehen. Man müsste nur die exotischen Pflanzen vorher beiseite schaffen. Während wir auf die Kellnerin warten, macht Jacques mich auf ein schwarzes Transparent auf der anderen Seite der Bucht aufmerksam: "Freedom of movement - Refugees welcome."
Ich lese die Worte und breche in Tränen aus. Verdammte Schilddrüse.
Irgendwann machen wir uns wieder auf den Rückweg zum Roller. Auf einem Platz vor einer Kirche sammelt sich eine Hochzeitsgesellschaft. Ein Mädchen mit einem Blumenkranz im Haar wartet vor dem Eingangsportal auf die Brautleute, und ein paar Meter weiter steht ein Fotograf mit einer Kamera auf einem Stativ.
Nachmittag
Wir verlassen Chania und folgen der Küstenstraße. In einem winzigen Badeort mit Strandlokalen rasten wir erneut. Ich bin hungrig und bestelle mir ein überbackenes Toast mit Käse und Schinken. Die Portion fällt überraschend groß aus: Eine riesige Stulle, in zwei Dreiecke geschnitten, dazu eine kleine Salatbeilage und eine Handvoll Chips. Jacques trinkt nur Cola. Ich frage mich, warum er noch nicht hungrig ist. Seit dem Frühstück hatten wir nur Getränke.
Abend
Als wir gegen fünf Uhr im Hotel ankommen, lege ich mich gleich aufs Bett und schnarche erst einmal für eine volle Stunde. Ich bin komplett fix und alle.
Danach koche ich für uns ein improvisiertes Resteessen. Aus Zwiebeln, Pellkartoffeln und einer großen Tomate schmore ich uns eine Soße. Der Schafskäse wird in der Pfanne geschmolzen, und die restlichen Oliven mit angewärmt. Das ganze kommt auf die Spaghetti, und dazu trinken wir jeder etwas Rotwein.
Sonntag 04.10.2015 - Birgit: Sonntag |